Ein Tag als Bordsteinschwalbe
von Katrin Hanka
Bad-Vilbeler Strassenfest 2007
Ich sitze an einem klapprigen Tapeziertisch am Straßenrand. Die Stühle sind auch nicht wirklich besser, der erste hat unter mir nachgegeben – so etwas ist Gift für das weibliche Ego. Vor mir auf der Straße läuft die endlose Menschenschlange in gemütlichem Schlenderschritt vorbei, Familien, Jugendliche und Rentner, alle gleichermaßen vertreten. Auf dem Tisch stehen die Bretter und auf jeder Seite die Figuren in Grundstellung. Selbst auf einem Tapeziertisch geht der Hauch des Erhabenen nicht ganz verloren, im Gegenteil, er lässt den Tisch vergessen. Wild um die Bretter verteilt stehen ein paar Uhren, Gläser, Flyer und andere Dinge. Das ganze wirkt vielleicht etwas unorganisiert, aber von den Beteiligten stört es keinen. Was zählt ist einzig das Schachspiel.
Meine Vereinskollegen und ich warten auf Passanten. Interessierte Leute, die sich die Zeit nehmen und sich für eine Partie völlig aus dem Trubel des Straßenfestes zurückziehen und ihre ganze Konzentration auf ein Holzbrett richten. Bei manchen wird es dann auch mehr als eine Partie – sehr zum Leidwesen der wartenden Familienangehörigen. Ich beobachte interessiert wie diese Leute immer weniger ihrer Umwelt wahrnehmen und sich ganz in das Spiel vertiefen.
Dieses Bild bringt mich zum lächeln, ich weiß ja selber zu gut wie sich das anfühlt. Doch genau auch das ist es, was viele Blicke skeptisch werden lässt und dafür sorgt, dass etliche Leute zwar neugierig, aber auch unverständig schauen und – sofort weiter gehen. „Schach? Liebe Güte, dabei sitzt man vor diesem Brett, es dauert ewig, das ganze ist furchtbar ernst und mit Spaß hat es wohl sehr wenig zu tun – und das auch noch auf einem Straßenfest! Nein danke!“ Steht in ihren Gesichtern geschrieben.
Die Neugierde gilt auch sehr oft weniger den Brettern als viel mehr den Leuten, die so was den ganzen Tag lang tun. Das meine ich in ihren Gesichtern zu lesen. Frauen wissen noch weniger mit einem Schachspiel anzufangen. So gesehen komme ich mir ein bisschen wie ein bunter Hund vor. Aber ein bunter Hund ist das beste Beispiel, dass eine Regel eben nicht immer gelten muss.
Ich suche den Blickkontakt der Vorbeiziehenden und schenke ihnen ein Lächeln. Mit meinen Vereinskollegen treibe ich meine Späße und genieße nicht nur den Schlagabtausch auf dem Brett, sondern auch den verbalen. So ernst und leise muss Schach nicht sein. Ein bisschen amüsieren mich die erstaunten Gesichter – Schach, das so gar nicht Klischees erfüllt.
Trotzdem, die Besucher, die sich an ein Brett wagen, sind meist Männer, die schon das eine oder andere mal gespielt haben. Neulinge, selbst wenn sie Interesse zu haben scheinen, scheuen sich davor sich als Ahnungslose zu outen. Wer noch zahlreich erscheint, sind die Kinder. Kinder, die noch keine Ahnung vom „Ansehen“ des Schachspiels haben. Für sie ist es nicht mehr als ein Spiel – und sie sind begeistert!
Sie werden nicht müde sich die Züge erklären zu lassen, manchmal zum Leidwesen von meinen Kollegen und auch mir. Selbst der Geduldigste hat davon irgendwann genug. Trotzdem, die Begeisterung für das Schachspiel funkelt in ihren Augen und auch die Erwachsenen müssen so doch feststellen, dass Schachspieler nicht beißen. Wer weiß, vielleicht ist das ja der Beginn für ein neues Hobby bei so manchem Knirps …
Das Fazit vom Tag? Für mich ein Tag unter meinen Kollegen, der das Schachspiel raus aus den verschlossenen Zimmern in die Öffentlichkeit bringt. Ein Tag, der Spaß macht und wie das letzte Jahr mal wieder ein Opfer gefordert hat: an meinem Sonnenbrand creme ich immer noch rum. Der ulkige, und leider nicht mit Modebewusstsein zu vereinbarende Hut eines Vereinskollegen, erscheint mir immer verführerischer …